Am Abend des 21. Oktober 2020 verstarb im Alter von 78 Jahren Professor Dr. Heinrich J.F. Reinhardt, von 1992 bis 2009 Professor für Kirchenrecht an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum. Vielen, die in der Seelsorge der Bistümer Essen und Münster oder auch als Religionslehrer*innen tätig sind, ist er durch ihre Ausbildung und Fortbildung oder auch persönliche Kontakte gut bekannt. Und jeder Priester und Diakon in Deutschland kennt seinen Namen durch sein Standardwerk Die kirchliche Trauung , in dem er die Anwendung des Ehevorbereitungsprotokolls der Deutschen Bischofskonferenz detailliert erläutert. Dabei verstand er es, selbst komplizierte Sachverhalte einfach und nachvollziehbar zu erklären.
Der Verstorbene war ein echtes Kind des Ruhrgebiets. 1942 in Herne geboren, studierte er nach seinem Abitur 1963 in Paderborn, Freiburg und Bochum Katholische Theologie, wo er auch seine Liebe zum Fach Kirchenrecht entdeckte. Hier erwarb er 1967 mit einer von Professor Dr. Ludwig Hödl (1924-2016) betreuten Arbeit aus der Dogmatik das Lizentiat in Katholischer Theologie. Im Jahre 1972 promovierte Reinhardt mit einer von Professor Dr. Heribert Heinemann (1925-2012) begleiteten Dissertation über ein Thema aus der kirchlichen Rechtsgeschichte. Nach einem Spezialstudium des Kirchenrechts an der Universität Straßburg erlangte Reinhardt 1986 das Lizentiat im Kanonischen Recht; seine Qualifikationsarbeit unter dem Mentorat von Professor Dr. Jean Schlick befasste sich mit dem Rechtsinstitut der Rezeption.
Sein theoretisches Wissen konnte Reinhardt in vielfältigen Tätigkeitsfeldern zur Anwendung bringen, die ihn mit vielen Problemen und Anfragen der Praxis konfrontierten. Seit 1976 wirkte er als Verwaltungskanonist im Bischöflichen Generalvikariat Essen sowie als Anwalt beim dortigen Bischöflichen Offizialat; 1984 wechselte er als Verwaltungskanonist zum Bischöflichen Generalvikariat Münster, wo er seither auch am Bischöflichen Offizialat als Diözesanrichter tätig war. Noch im selben Jahr erhielt er einen Lehrauftrag an der Philosophisch-Theologischen Hochschule der Franziskaner und Kapuziner in Münster, die ihn 1988 zum Professor für Kirchenrecht ernannte. Zum Sommersemester 1992 folgte Reinhardt einem Ruf auf den Lehrstuhl seines Lehrers Heribert Heinemann an die Ruhr-Universität Bochum. Als Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät (1999-2002) setzte er sich intensiv für deren Bestand ein. – Zudem vertrat Reinhardt zehn Jahre lang (auch nach seiner Pensionierung bis zum Jahre 2015) das Fach Kirchenrecht im Rahmen der Religionslehrerausbildung an der Universität Duisburg-Essen.
In Münster unterstützte Reinhardt seinen Kollegen Professor Dr. Klaus Lüdicke von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität in seinen Bemühungen um die Einrichtung des Aufbaustudienganges „Lizentiat im Kanonischen Recht“, der zum Sommersemester 1992 seinen Lehrbetrieb aufnehmen konnte. Reinhardt beteiligte sich aktiv an dessen Aufbau und Gedeihen durch die Übernahme von Lehrveranstaltungen und die Begleitung zahlreicher Examenskandidaten; einige von ihnen folgten ihm nach Bochum, um bei ihm ihre Doktorarbeit zu schreiben. So betreute er mit großem Interesse nicht weniger als 43 Lizentiatsarbeiten, 11 Promotionen und 2 Habilitationen.
Die 2003 erfolgte Einrichtung des in Deutschland bis heute einzigartigen Fortbildungsprojektes „Notfallseelsorge und Krisenintervention“ der beiden Bochumer Theologischen Fakultäten in Kooperation mit der Konferenz der Beauftragten für Notfallseelsorge und Seelsorge in Feuerwehr und Rettungsdienst der (Erz-)Bistümer und Landeskirchen in Nordrhein-Westfalen geht auf die Initiative und Konzeption des Verstorbenen unter dem Eindruck des ICE-Unglücks von Eschede fünf Jahre zuvor zurück. Zu den Adressaten dieser interdisziplinären wissenschaftlichen Veranstaltungen zählen Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten, dazu haupt- und ehrenamtliche Notfallseelsorgende, Mediziner, Therapeuten u.a.
Auch die Deutsche Bischofskonferenz wusste den Erfahrungsreichtum des Verstorbenen zu nutzen: So gehörte er von 2001 bis 2006 deren Arbeitsgruppe Kirchenrecht an, von 2005 bis 2015 wirkte er als Richter am Kirchlichen Arbeitsgerichtshof in Bonn.
Ein Herzensanliegen war dem Verstorbenen seit jeher die Ökumene. Schon in seiner Zeit als Essener Verwaltungskanonist publizierte er hierzu eine praktische Handreichung. Sein Engagement führte ihn 1994 in die interkonfessionelle Kirchenrechts-Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Studiengemeinschaft in Heidelberg (sog. Heidelberger Kreis). Der Erzbischof von Paderborn, Dr. Johannes Joachim Degenhardt, berief Reinhardt 1995 in den Wissenschaftlichen Beirat des „Johann-Adam-Möhler-Instituts für Ökumenik“ und 1998 zum Mitherausgeber der Zeitschrift „Catholica“. In den Jahren 2001 bis 2011 gehörte er der Ökumene-Kommission der Deutschen Bischofskonferenz als Berater an. Zum Mitglied der im Auftrag des Päpstlichen Rates für die Förderung der Einheit der Christen und der Internationalen Bischofskonferenz der Altkatholischen Kirchen arbeitenden Internationalen Römisch-Katholischen/Alt-Katholischen Dialogkommission wurde er 2003 berufen.
All dies sind äußere Daten und Fakten. Dabei prägte ihn nicht nur ein außerordentlicher Sachverstand, sondern gerade auch seine offene und unkomplizierte Art, seine Einsatz- und Hilfsbereitschaft, sein verantworteter Pragmatismus auch bei schwierigen Fragestellungen. Man (ob Bischof, Priester, Mitarbeitender im Generalvikariat oder Studierender) konnte ihn wegen irgendwelchen kirchenrechtlichen Fragestellungen stets anrufen, auch privat und außerhalb irgendwelcher Bürozeiten: Er hatte ein offenes Ohr, dachte mit und dachte nach und gab eine kompetente Antwort oder man überlegte gemeinsam, wie es weitergehen könnte.
Möge ihm der Herr über Leben und Tod den verheißenen Lohn für sein unermüdliches irdisches Wirken schenken!
Rüdiger Althaus
Professor des Kirchenrechts an der Theologischen Fakultät Paderborn
Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Fachvertreterinnen und Fachvertreter Kirchenrecht (AGKR) in Deutschland