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Theologie und kirchliche Führung. Expertenworkshop an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum

07.05.2019

Dass die Führung und das Führungspersonal der katholischen Kirche in einer tiefen Krise stecken, ist hinlänglich bekannt. Dies wurde zuletzt vor allem durch den Missbrauchsskandal und den Umgang mit Finanzen deutlich. In beiden Fällen gibt es Versuche, das Führungsversagen kirchlicherseits aufzuarbeiten, Versuche, deren Tauglichkeit und Wirksamkeit unter Fachleuten jedoch umstritten sind. Fest steht jedenfalls, dass der Vertrauensverlust immens ist: Die Zahl der Kirchenaustritte ist im letzten Jahr noch einmal dramatisch gestiegen, ein Ende dieses erschreckenden Trends ist nicht absehbar.

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Vor diesem Hintergrund erforscht das Kompetenzzentrum Führung des zap (Zentrum für angewandte Pastoralforschung) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität seit 2015 die Hintergründe der Führungskrise und erarbeitet Vorschläge zu ihrer Überwindung. Dabei konnte das Kompetenzzentrum auch auf die geballte fachliche Kompetenz einer ganzen theologischen Fakultät zurückgreifen: Seit Winter 2015 trafen sich die Theologinnen und Theologen der Katholisch-Theologischen Fakultät der RUB zweimal im Semester, um aus der Perspektive der einzelnen theologischen Disziplinen über Führen und Entscheiden in der katholischen Kirche zu diskutieren. Die Beteiligten waren sich schließlich einig, dass der zunächst zwanglos und zweckfrei konzipierte und gerade deshalb ungemein fruchtbare fachliche Austausch nun doch auch öffentlich und einem breiteren Publikum zugänglich gemacht werden sollte. So luden die Katholisch-Theologische Fakultät und das zap gemeinsam zu einem Expertenworkshop „Führen und Entscheiden in der katholischen Kirche“ am 11.-12.04.2019 nach Bochum ein. Zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern gehörten neben Angehörigen der Fakultät (Professorinnen und Professoren, wissenschaftlicher Nachwuchs und Studierende) auch Praktikerinnen und Praktiker aus kirchlichen Institutionen.
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Das Programm des Expertenworkshops ergab sich organisch aus den informellen Treffen im Vorfeld. Bereits dort zeigte sich, dass das Gespräch zwischen den einzelnen theologischen Disziplinen ungemein fruchtbar war. Nach der Begrüßung durch den Prodekan Prof. Dr. Bernhard Grümme und den Direktor des zap, Prof. Dr. Matthias Sellmann, führte der Leiter des Kompetenzzentrums Führung, Dr. Benedikt Jürgens, zunächst aus pastoraltheologischer Perspektive in das Thema ein. Es folgten sechs Panels mit jeweils einem Hauptreferat, das durch ein knappes Ko-Referat aus einer anderen theologischen Fachdisziplin kommentiert wurde. Prof. Dr. Georg Essen (Dogmatik) und Prof. Dr. Wilhelm Damberg (Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit) sprachen über die Macht der im 19. Jahrhundert erfundenen Traditionen, die kirchliche Führung in eine Sackgasse manövrierte. Dr. Katharina Pyschny (Altes Testament) und Prof. Dr. Bernhard Grümme (Religionspädagogik und Katechetik) erörterten, wie professionelles Rollendenken und -handeln Führungsqualität verbessern und Führungspersonal entlasten könnte. Prof. Dr. Josef Rist und Stefan Pabst (Alte Kirchengeschichte und Patrologie) sowie Aleksandra Brand (Neues Testament) verdeutlichten faktische und normative Legitimations- und Begründungsmuster kirchlicher Führungsansprüche. Über Möglichkeiten der Kontrolle kirchlicher Führungsmacht durch Ethik und Recht diskutierten Prof. Dr. Judith Hahn (Kirchenrecht) und Prof. Dr. Joachim Wiemeyer (Christliche Gesellschaftslehre). Mit dem Zusammenhang zwischen Führungsbefugnis (wer darf führen?) und Führungskompetenz (wer kann führen?) setzten sich Prof. Dr. Markus Knapp (Fundamentaltheologie) und Kirsten Schäfers (Altes Testament) auseinander. Schließlich entwickelten Prof. Dr. Thomas Söding (Neues Testament) und PD. Dr. Ludger Jansen (Philosophisch-Theologische Grenzfragen) Bewertungskriterien für kirchliche Führung.
Jansen
Das auf diese Weise zwischen zwei fachtheologischen Disziplinen begonnene Gespräch wurde jeweils für das gesamte Plenum geöffnet. Dabei wurden weiterführende Aspekte aus den weiteren theologischen Disziplinen, aber auch Erfahrungen aus der kirchlichen Praxis eingebracht. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bescheinigten den Diskussionen höchstes Niveau, die sie außerdem im besten Sinne kurzweilig und unterhaltsam fanden. Neben dem Austausch zwischen Theologie und Praxis zeichnete sich der Workshop auch durch das interdisziplinäre und gleichberechtigte Miteinander von etablierten Fachtheologen, wissenschaftlichem Nachwuchs und Studierenden aus. Der Expertenworkshop konnte durch sein konsequent interdisziplinär angelegtes Design Handlungsoptionen und -freiräume aufzeigen. Es wurde deutlich, dass sich kirchliche Führung durchaus von der Vielfalt theologisch erforschter Führungsmodelle inspirieren und durch ein breites Spektrum theologisch reflektierter Kriterien für gute Führung orientieren lassen könnte. Ebenso deutlich wurde aber auch, dass sich die Kirche selbst durch kulturelle Engführungen, lehramtliche Entscheidungen und kirchenrechtliche Fixierungen in eine Sackgasse manövriert hat, aus der ein Entkommen kaum möglich erscheint.
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Ein radikales Umdenken, dessen Verbindlichkeit sich in einer Änderung der Strukturen zeigen müsste, scheint unabdingbar zu sein, um aus der Führungskrise herauszukommen. Eine Veröffentlichung zum Expertenworkshop ist geplant.